subreport Blog

Pflicht zur direkten elektronischen Bereitstellung von Vergabeunterlagen: Erste Erfahrungen aus der Praxis
Gastbeitrag von Rechtsanwalt Dr. Karsten Lisch

| Keine Kommentare

Das aktuelle Vergaberecht zwingt öffentliche Auftraggeber, die Vergabeunterlagen für alle interessierten Unternehmen direkt zum Abruf bereit zu halten. Das ist für Bieter komfortabel, kann aber zu Überraschungen und unerwünschten Komplikationen im Verfahren führen.

Grundsätzlich alle Arten von öffentlichen Aufträgen erfasst

Die Pflicht zur elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen gilt bereits heute für alle wesentlichen Bereiche der öffentlichen Auftragsvergabe. Sie ist für die Vergabe von Bauleistungen in § 11 EU Abs. 3 VOB/A geregelt, für sonstige (Dienst-) Leistungen in § 41 Abs. 1 VgV und für Aufträge im Sektorenbereich in § 41 Abs. 1 SektVO. Unterhalb der Schwellenwerte des EU-Rechts hält die UVgO eine entsprechende Regelung in § 29 Abs. 1 bereit, im ersten Abschnitt der VOB/A ist die Regelung bereits vorhanden. Als weiße Flecken auf der vergaberechtlichen Landkarte verbleiben damit nur noch Vergaben nach der VOL/A in den Bundesländern in sie noch gilt. Es ist aber damit zu rechnen, dass die VOL/A auch dort mittelfristig durch die UVgO abgelöst wird.

„Direkt“ bedeutet „ohne Registrierung“

Die Vorschriften verpflichten den Auftraggeber zur Angabe einer Adresse in  der Bekanntmachung, „unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können.“ Das Wort „direkt“ ist hierbei gleichbedeutend mit „ohne Registrierung“. Auch wenn der Wortlaut eine andere Auslegung zulassen würde, wird dies in Rechtsprechung und Literatur nicht bezweifelt. Öffentliche Auftraggeber verlieren damit de facto die Kontrolle darüber, wer ihre Unterlagen abruft und zu welchem Zweck (zu den wenigen Ausnahmen erscheint in diesem Blog in Kürze ein separater Beitrag).

Pflicht erfasst die gesamten Vergabeunterlagen

Die Bereitstellungspflicht betrifft alle Bestandteile der Vergabeunterlagen. Sie gilt also insbesondere für die Leistungsbeschreibung, Preisblätter, einen möglichen Vertragsentwurf und vom Bieter auszufüllende Formulare. Erfasst sind auch ergänzende Informationen zu den Vergabeunterlagen, die der Auftraggeber im Rahmen von allgemeinen Bieterinformationen gibt. Für automatisierte Hinweise auf neue Bieterinformationen oder Änderungen an den Vergabeunterlagen darf hingegen eine Registrierung verlangt werden.

Auswirkungen

In der Praxis können die Neuregelungen dazu führen, dass Angebote von Bietern eingehen, die jenseits der ursprünglichen Vergabeunterlagen keinen einzigen Hinweis des Auftraggebers kennen und daher auch nicht befolgt haben. Es ist zu beobachten, dass Bieter die Vergabeunterlagen nur zu Beginn des Verfahrens abrufen. Änderungen und ergänzende Hinweise werden demgegenüber ohne automatisierten Hinweis oft nicht wahrgenommen Das Problem betrifft vor allem Verfahren, in denen die Angebotsabgabe noch in Papierform durchgeführt wird. Im ungünstigsten Fall müssen dann Ausschlüsse aus formalen Gründen erfolgen.

Ein weiteres Problem sind unregistrierte Bieter, die in ihren Angeboten keine Kontaktdaten für die elektronische Korrespondenz angeben. Für die weitere Kommunikation im Verfahren sind diese Bieter dann im Zweifel nur per Post erreichbar. Das erschwert und verzögert Nachfragen zum Angebot und die Nachforderung fehlender Unterlagen.

Empfehlungen

Bieter müssen sich selbstständig und eigenverantwortlich über Bieterinformationen und Änderungen an den Vergabeunterlagen informieren. Ihnen ist zu raten, sich auf der verwendeten Vergabeplattform zu registrieren, auch wenn die Vergabeunterlagen frei verfügbar sind.

Auftraggeber sollten in den Angebotsunterlagen vorsorglich ausdrücklich eine E-Mail-Adresse des Bieters abfragen. Außerdem empfiehlt sich in den Vergabeunterlagen ein Hinweis auf die Vorzüge von aktuellen Informationen zum Verfahrensstand und der Möglichkeit einer kostenfreien Registrierung, um diese zu erhalten.

 

Dr. Karsten Lisch ist Rechtsanwalt und Partner der auf Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht spezialisierten Kanzlei ESCH BAHNER LISCH und berät öffentliche Auftraggeber und Bieter in Vergabeverfahren, insbesondere zur Beschaffung von Informationstechnologie. Er hält regelmäßig Vorträge und ist Autor diverser Fachveröffentlichungen über Vergabe- und IT-Recht.

Autor

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.